Herdenverhalten - wenn etwas alle tun, muss es noch lange nicht richtig sein
(1110 x gelesen) im GeldHerdenverhalten - wenn etwas alle tun, muss es noch lange nicht richtig sein
Eine Kapitalanlage an den Börsen ist einfach zu handhaben, wenn einige Grundsätze beachtet werden. Viele Entschlüsse basieren nicht auf logischen Überlegungen, sondern auf Daumenregeln - Psychologen nennen dies Heuristiken. Definition: Heuristiken sind mentale Strategien, die uns Menschen helfen bei begrenzter Zeit und überschaubarer Information, Entscheidungen zu treffen. Bei der Nutzung von solch vereinfachten Regeln, die meist unter Zeitdruck angewendet werden, kann es zu Fehlern mit gravierenden Folgen kommen.
Herdentrieb
Hierbei handelt es sich um einen typisch menschlichen Fehler, der die Rendite von Anlageentscheidungen stark nach unten ziehen kann. Unser Gehirn arbeitet im Grunde immer noch wie in der Altsteinzeit vor 100.000 Jahren. Die Zivilisation selbst hat erst vor wenigen tausend Jahren Einzug gehalten. Vorher lebten die Menschen in Herden, das war ihre Überlebensstrategie. Verhaltensökonomen sprechen vom Herdentrieb, wenn wie damals Entscheidungen getroffen werden, indem man einer Gruppe folgt, ohne selbst zu analysieren und ungeprüft Einstellungen, Verhalten und Stile von anderen Personen übernimmt.
Telekom-Aktie
Zu welchen Problemen der Herdentrieb bei der Geldanlage führen kann zeigt der Börsengang der Deutschen Telekom im Jahr 1996. Zum damaligen Zeitpunkt war die Aktienkultur hierzulande wenig bis nicht entwickelt und über einzelne Aktien verfügten nur wenige Bürger. Der Telekom-Börsengang, unterstützt von einer großen Werbekampagne mit dem bekannten Tatort-Kommissar Manfred Krug, war ein Wendepunkt. Jeder wollte die "Volks-Aktie" besitzen, auch Sparer, die keinerlei Vorerfahrungen mit Geldanlagen dieser Art besaßen, da auch der Nachbar, der Kollege oder ein Freund den Kauf zeichnete.
Der Ausgabepreis der dritten Tranche der Telekom-Aktie von damals, umgerechnet € 63,50, markierte schließlich einen Meilenstein. Dieser Kurs wurde jedoch niemals mehr erreicht, nicht einmal annähernd. Ein Großteil der Anleger verlor Kapital und zog sich enttäuscht von der Börse zurück - eine der Ursachen für die immer noch schwach ausgeprägte Aktienkultur in Deutschland.
Weitere Beispiele
Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit liefern Meme-Aktien, die im Internet oder den sozialen Medien (Twitter, Facebook oder Tik Tok) gehypt werden, wie etwa AMC Entertainment, Bed Bath & Beyond (BBBY) und Gamestop (GME). Letztere verlor in den vergangenen zwölf Monaten über 90 Prozent ihres Wertes.
Das Herdenverhalten kann auch zu realpolitischen und -ökonomischen Auswirkungen führen. Hamsterkäufe trieben etwa während der Corona-Pandemie die Preise von Toilettenpapier, Nudeln und Speiseöl in die Höhe. All diese Fälle zeigen, dass der Einzelne erhebliche Verluste erlitten hat, anstatt von der Herde zu profitieren.
Herdenverhalten und Kapitalmarkt
In früheren Zeiten war es sicherer in der Herde zu bleiben, statt als Einzelgänger herumzulaufen. An den modernen Kapitalmärkten geschieht im Regelfall jedoch genau das Gegenteil. Kaufen nämlich viele Marktteilnehmer gleichzeitig eine Aktie, so steigt die Bewertung eines Unternehmens stärker an als fundamental gerechtfertigt ist.
Allerdings ist es so, dass nicht nur Laien diesem sozialen Effekt verfallen. Auch Finanzmarktanalysten und Fondsmanager orientieren sich in Märkten mit unvollkommener Information bei ihren Prognosen erwiesenermaßen nicht an realistisch zu erwartenden Ertragsströmen, sondern an dem, was die Mehrheit der Analysten und Kollegen prognostizieren.
Selbständig denken
Es gibt nicht eine universelle Verhaltensregel, die verhindert selbst Opfer des Herdenverhaltens zu werden. Wichtig ist es ein Fingerspitzengefühl dafür zu entwickeln, dass dieses Phänomen überhaupt existiert. Als Warnsignal gilt, wenn sich plötzlich ganz viele Menschen über den gleichen heissen Tipp austauschen. Dann ist es an der Zeit selbst nachzudenken und sich verschiedene Informationen einzuholen. Wenn es Ihnen gelingt diese Regeln im Gehirn zu verankern, ist es sehr unwahrscheinlich Opfer von Herdenverhalten zu werden. Selbständiges Denken ist in allen Bereichen des Lebens immens wichtig. Hinterfragen Sie beispielsweise Medien und Politik immer dann, wenn es nur eine offizielle Einheitsmeinung zu komplexen Themen gibt.