Wie ist die Rechtslage, wenn eine betrunkene Person plötzlich die Straße überquert
(29 x gelesen) im Versicherung

Wie ist die Rechtslage, wenn eine betrunkene Person plötzlich die Straße überquert
Ohne auf den Verkehr zu achten überquerte eine alkoholisierte Frau eine stark befahrene Straße, dabei wurde sie seitlich von einem Auto gestreift und verletzt. Die Behandlungskosten gingen erstmals zu Lasten der Krankenkasse der Frau. Im Nachgang wurde jedoch der Kfz-Fahrer bzw. dessen Kfz-Haftpflichtversicherung mittels Gerichtsklage aufgefordert die Hälfte der Kosten für die ärztliche Versorgung zu übernehmen, dabei berief sich die gesetzliche Krankenversicherung auf ein Mitverschulden des Fahrers.
Als gefährdete Verkehrsteilnehmerin erkennbar
Die Krankenkasse argumentierte, der Kfz-Fahrer habe gegen § 3 Absatz 2a StVO verstoßen, denn es fehlte an Rücksichtnahme gegenüber der Verkehrsteilnehmerin, die aufgrund ihres Alkoholkonsums als hilfsbedürftig einzustufen gewesen sei. Im genannten Paragrafen heißt es u.a.: "Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist." Laut Kläger bewegte sich die Fußgängerin auffällig und sei deshalb als gefährdete Verkehrsteilnehmerin erkennbar gewesen.
Grob fahrlässiges Verhalten
Allerdings teilten weder Vorinstanz, noch das im Rahmen einer Berufung angerufene Oberlandesgericht (OLG) Hamm diese Rechtsauffassung. Gemäß Beschluss des zuständigen OLG vom 19. August 2024 (7 U 58/23) verursachte die Frau durch ihr grob fahrlässiges Verhalten den Unfall alleine und das in einem Ausmaß, das die Betriebsgefahr des Fahrzeugs vollständig zurücktreten lässt.
Die Frau verstieß gegen § 25 Absatz 3 StVO; dieser schreibt u.a. vor, dass ein Fußgänger eine Straße nur unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs überqueren darf. Laut OLG Hamm war das Fahrzeug des Beklagten für sie deutlich erkennbar und dennoch betrat sie die Fahrbahn.
Fahrer unschuldig
Der hinzugezogene Sachverständige stellte zudem die Unschuld des Fahrers fest, da er weder zu schnell gefahren ist, noch habe es Hinweise auf eine Reaktionsverzögerung gegeben. Für eine Haftung des Kfz-Fahrers drehte sich alles um die zentrale Frage, ob er hätte erkennen müssen dass es sich bei der Frau um eine hilfsbedürftige Person im Sinne von § 3 Absatz 2a StVO handelte, die besonderer Rücksichtnahme bedarf.
Eine betrunkene Person ist laut gängiger Rechtsprechung hilfsbedürftig, denn es gibt hierbei keinen Unterschied, inwieweit "die mangelnde Verkehrstüchtigkeit auf Jugend, Alter oder einem besonderen körperlichen bzw. geistigen Zustand beruht, ob dieser dauerhaft oder nur vorübergehend ist und ob der Betroffene verschuldet oder unverschuldet in diesen Zustand geraten ist", wie dem Urteil zu entnehmen ist.
Hilfsbedürftigkeit nicht erkennbar
Das Gericht sah es jedoch nicht als erwiesen an, dass der Autofahrer den alkoholisierten Zustand der Fußgängerin hätte erkennen müssen. Der Sachverständige erläuterte dazu, dass der unsichere Gang der Frau - ein mögliches Anzeichen für eine Hilfsbedürftigkeit infolge Alkoholisierung, aus dem Blickwinkel des Fahrers, falls überhaupt - nur schwer zu erkennen war.
Aus Sicht des Gerichts bestand für den Autofahrer somit keinerlei Anlass besonders vorsichtig oder bremsbereit zu sein. Mit einer gefahrenen Geschwindigkeit von nur 45 Stundenkilometern lag er sogar unter dem innerorts erlaubten Maximum. Zudem gab es keine erschwerenden Bedingungen wie Nebel, nasse bzw. glatte Straßen.
Kein Fahrfehler festzustellen
Ein Fahrfehler ist laut Gericht daher nicht auszumachen. Darüber hinaus gab es auch keine Anzeichen für eine unmittelbar drohende Gefahr, bevor die Frau urplötzlich die Fahrbahn betrat. Im Urteil wird obendrein betont: "Das ausreichende Beobachten des Straßenverkehrs vor einer Fahrbahnquerung gehört zu den elementarsten Verhaltenspflichten eines Fußgängers."
Betriebsgefahr führt ausnahmsweise nicht zur Haftung
Weiter führte das OLG Hamm aus, dass eine reine Betriebsgefahr des Fahrzeugs der nach § 9 StVG und § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung nicht durch ein Verschulden des beklagten Kfz-Fahrers § 276 Absatz 2 BGB erhöht ist. Daher sei in diesem Fall "ausnahmsweise die Annahme eines vollständigen Haftungsausschlusses gerechtfertigt."
Die Richter betonten zudem: "Wie dargelegt belastet die Beklagten (Fahrer und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung) lediglich die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs, weil ein gefahrerhöhender Fahrfehler aufseiten des Beklagten (Kfz-Fahrer) nicht festgestellt werden kann."
Fußgängerin beging groben Verkehrsverstoß
"Demgegenüber hat die Verletzte mit dem achtlosen Überqueren der Fahrbahn einer hinlänglich übersichtlichen Straße mit nicht unerheblichem Verkehrsaufkommen einen objektiv groben Verkehrsverstoß begangen." In diesem Fall überwiegt laut OLG daher das Verschulden der Verletzten, die von dem Kfz ausgehende Betriebsgefahr in einem Maße, welches den aus § 7 StVG herzuleitenden eigenen Haftungsanteil der Beklagten, nämlich Kfz-Halter und Kfz-Haftpflichtversicherung, völlig zurücktreten lässt.
Die Klägerin hatte nach Zustellung der Entscheidung des OLG drei Wochen Zeit für eine Stellungnahme; er hat die Berufung allerdings zurückgezogen.